Dr. Dr. Winfried Schachten
Rechtsanwalt
Rundschreiben vom Mai 2016
Das vorrangige Ziel seit Anfang meiner Tätigkeit in den neuen Bundesländern war die Durchsetzung der Ausdehnung des Geltungsbereiches
des Strafrechtsrehabilitierungsgesetztes (StrRehaG) auf die Entnazifizierungsverfahren in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ).
Das ist in der Tat eines der größten verfassungsrechtlichen Probleme, weil hier das Potsdamer Abkommen, die Kontrollratsdirektive Nr. 38
und Art. 139 GG berührt werden.
Ich habe schon vor langer Zeit für eine grössere Zahl von Betroffenen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dahingehend
eingereicht, dass das Gericht die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, das Strafrechtsrehabilitierungsgesetz insoweit zu ergäen,
dass auch die Entnazifizierungsverfahren, die Strafverfahren waren, von diesem Gesetz umfasst werden, wie dies in den 50-er Jahren durch
die Entnazifizierungsabschlußgesetze in der Bundesrepublik Deutschland geschehen ist.
So erlangten die Angeklagten der bei den Spruchkammern durchgeführten Entnazifizierungsverfahren den vom Grundgesetz garantierten gesetzlichen Richter.
Es dürfte wohl klar gegen Art. 3 GG verstoßen, den "Ossis" vorzuenthalten, was die Bundesrepublik Deutschland den "Wessis" gewährt hat.
Einige Rehabilitierungsgerichte haben jetzt wegen der Vorrangigkeit der zu erwartenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes bei
diesem Anfrage nach der noch zu erwartenden Dauer bis zur Entscheidung der eingereichten Beschwerden von Betroffenen gestellt.
Die Antwort des Bundesverfassungsgerichtes auf die Anfrage der Strafrechtsrehabilitierungskammer des LG Neubrandenburg ist beiliegend wiedergegeben.
Bautzen, den 12. Mai 2016
Die Entnazifizierungsverfahren in der Ostzone und in der Westzone
Stufe |
Westzone |
SBZ |
1. Stufe:
Auswahlentscheidung nach Prüfung des erhobenen Schuldvorwurfs |
Verfahren vor Spruchkammer (Spruchgericht) nach ordnungs- gemäß erhobener Anklage durch den öffentlichen Kläger in einem
rudimentären rechtsstaatlichen Garantien ausgestalteten Verfahren. |
Nicht näher geregeltes Verfahren von den Boden- und Sequesterkommissionen: bei Junkern und Großgrund- besitzern
wurde der Schuldvorwurf unwiderleglichvermutet, bei den sonstigen Besitzbürgern wurde er regelmäßigkonstruiert; i.d.R. kein rechtliches Gehör.
Entschieden wurde in Sitzungen in Anwesenheit des Beschuldigten ohne Beweisaufnahme. |
2. Stufe:
Entziehung des Vermögens |
Die Siedlungsbehörden vollzogen den Schuldspruch der Spruch- gerichte in Bezug auf die Anordnung der Vermögens- einziehungen als Sühnen- maßnahme und zogen das
der Aussiedlung bestimmte land- und forstwirtschaftliche Vermögen ein. |
Die Boden- und Sequesterkommissionen vollzogen ihre eigenen Entscheidungen und zogen - obgleich nach der Kontrollrats- direktive Nr. 38 verboten -
nicht nur das betriebliche, sondern auch das private Vermögen ein. |
3.Stufe:
Verteilung des Vermögens |
Ausschließlich haben die Siedlungsbehörden das eingezogene Vermögen privatisiert. |
Die Boden- und Sequesterkommissionen haben das eingezogene Vermögen teils sozialisiert (im Falle des privaten und betrieblichen Vermögens
von Gewerbe- treibenden und Industriellen) teils aufgesiedelt. Dies war der geringere Anteil des eingezogenen betrieblichen Vermögens der Inhaber
land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. |